Hilfe bei mentalen Problemen

Fühlst du dich erdrückt?

Fast 40 % aller Menschen in Deutschland leiden an einer psychischen Störung oder Verhaltensstörung1,2

Gerade in den letzten zehn Jahren machen psychische Erkrankungen auch in Deutschland einen immer größeren Anteil der diagnostizierten und behandelten Krankheiten aus. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben Betroffene eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung3.

Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland damit zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre4. Depressionen, bipolare Störungen und Schizophrenien – obwohl psychische Erkrankungen weltweit bereits zu den häufigsten zählen, sind sie auch heute noch nach wie vor stark tabuisiert. Allein die Tatsache, dass es sich hier um etwas handelt, das man nicht auf einem Röntgenbild abbilden kann wie einen gebrochenen Knochen, schürt Unsicherheiten bei vielen Menschen. Was so schwer greifbar ist, scheint eben irgendwie auch viel schwieriger in den Griff zu kriegen.

Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen Angststörungen, affektiven Störungen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum2.

Je weniger darüber gesprochen wird, desto mehr und länger müssen Betroffene leiden

Online informieren ist toll, richtige Hilfe gibt es aber hauptsächlich offline

Doch das Schweigen über eigene Erfahrungen, über vergangene, laufende oder geplante Behandlung, ist keinesfalls eine rein private Entscheidung. Nicht über deine eigenen Symptome zu sprechen betrifft – und belastet – am Ende nicht nur dich allein, sondern hat gesamtgesellschaftlich betrachtet schwerwiegende Konsequenzen.
Das dadurch geschaffene soziale Klima der Tabuisierung lässt bei Betroffenen ein Gefühl der Stigmatisierung entstehen – und erzeugt auf diese Weise gleich doppelten Leidensdruck. Durch die mangelnde Sichtbarkeit der Problematik fühlen sie sich allein und allein gelassen mit der Belastung. Als wären sie die einzigen und als wäre weit und breit niemand geeignet, unterstützend für sie da zu sein.

Je mehr über ein Problem geschwiegen wird, desto größer kann es sich selbst aufbauschen. Es wird zu einem Gespenst mit Eigendynamik, das viel bedrohlicher wirkt, als es jemals in Wirklichkeit sein kann – wenn man ihm nur einfach direkt in die Augen sehen würde. Das erklärt auch das skurrile Phänomen, dass sehr viele Menschen große Erleichterung empfinden, wenn sie zum ersten Mal ihre Diagnose hören.

Ein Label gibt Halt

Allein das Benennen-können hat einen enorm entlastenden Effekt. Es macht deutlich: Es gibt also anscheinend auch noch andere da draußen, denen es genau so oder zumindest sehr ähnlich geht wie mir. Und noch besser: es gibt sogar eine ganze Menge Menschen, die sich bereits auf mehreren Ebenen mit dem Problem befasst haben und eine ganze Menge zur Problematik zu sagen haben.

Mehr Austausch führt zu besserer Sichtbarkeit und zu höherer Akzeptanz

Eine mangelnde Kommunikation über seelische Sorgen wirkt sich nicht nur im Akutfall negativ aus, also wenn es bereits höchste Zeit ist, wirklich etwas zu unternehmen. Er verhindert, dass vorbeugende Maßnahmen ergriffen und Präventionsangebote in Anspruch genommen werden. Dass man einen Gang zurückschaltet, bevor die Erkrankung jede Kraft raubt. In vielen Fällen könnte man nämlich schon viel früher ansetzen und so Leidenden vieles an Leid ersparen. Je länger man damit wartet, etwas zu unternehmen, desto schwieriger wird es. Nicht nur, weil das Problem immer größer wird, sondern auch, weil man immer weniger in der Lage ist, die Hand nach Hilfe auszustrecken.

Eine bessere Sichtbarkeit der Problematik kann also dazu führen, dass Erkrankte viel schneller Hilfe bekommen. Kampagnen wie diese sind also mehr als nur Aufklärung.

Der erste Schritt ist einfacher als du denkst

Therapeut*innen: Menschen, die dafür bezahlt werden dich zu verstehen

Ja, zugegeben. Der Gedanke an all die Hürden am Weg zur Therapie kann erst mal leicht überfordernd bis ganz schön einschüchternd sein. Lange Wartezeiten, undurchdringlich wirkendes Dschungeldickicht der Versorgungslandschaft. Gerade dann, wenn man Hilfe am allermeisten nötig hat, ist man eben oft am wenigsten in der Lage, danach zu fragen.
Allein der Schritt, sich jemand anderem anzuvertrauen und sich darum zu kümmern, die nötige Hilfe zu bekommen, kann in einem solchen Zustand schlicht unmöglich erscheinen. Aber keine Panik, es ist möglich. Sobald du dir einen Überblick über die einzelnen Schritte verschafft hast, wirken sie gleich nur noch halb so groß und auch doppelt so machbar.

Finde deine Therapeutin oder Therapeuten

Tausende Fachkräfte für Psychiatrie und Psychotherapie sind in Deutschland tätig – da sollte also auch für dich die richtige Person dabei sein. Bevor du dich auf die Suche machst, solltest du die Konditionen deiner Versicherung prüfen: Bist du bei einer gesetzlichen Krankenkasse, dann kannst du dir eine Fachkraft mit Kassenzulassung suchen – deine Kasse übernimmt dann die Kosten der Therapie. Für Privatversicherte sind die Regelungen nicht einheitlich. Kläre deshalb am besten direkt mit deiner Krankenkasse die Konditionen, wenn dieser Status auf dich zutrifft.

Du benötigst keine Überweisung deiner Hausärztin oder Hausarztes, um eine Therapie zu beginnen, sondern kannst dich direkt an die Therapeutin oder Therapeuten deiner Wahl wenden.
Womit wir auch schon bei einem der wichtigsten – und wohl nicht gerade einfachsten – Punkte wären: die Wahl der für dich passenden Fachkraft. Für die Suche gibt es verschiedene hilfreiche Anlaufstellen: Internetadressen, Servicehotlines und Termin-Servicestellen, die Datenbanken von Therapeutinnen und Therapeuten zur Verfügung stellen.  Diese Tools können dir die Suche erheblich erleichtern! Einige sehr nützliche Adressen sind am Ende dieses Artikels zusammengefasst.

Fünf Monate muss man in Deutschland im Schnitt auf eine psychotherapeutische Behandlung warten

Warten ist nervig, besonders, wenn man Hilfe braucht

In Deutschland, insbesondere in Ballungsgebieten oder Regionen mit geringer Abdeckung, können die Wartezeiten für einen Therapieplatz leider extrem lang sein. Es kann deshalb Sinn ergeben, nicht alles auf eine Karte zu setzen und gleich bei mehreren Praxen anzufragen. Scheue dich auch nicht davor, dich auf mehrere Wartelisten setzen zu lassen. Das ist durchaus üblich und auch so vorgesehen.

Der Erstkontakt – die psychotherapeutische Sprechstunde

Die psychotherapeutischen Sprechstunde ist Voraussetzung für eine weiterführende Therapie. Im Rahmen dieser Termine (mindestens 2 x 25 Minuten) wird die weitere, für dich am besten passende Behandlung abgeklärt.
Man spricht hier von orientierender Diagnostik: Die Psychotherapeutin bzw. Psychotherapeut stellt im Rahmen dieser Sitzung zunächst eine Verdachtsdiagnose, welche für den Beginn der Therapie ausreichend ist. Im weiteren Therapieverlauf stellt die Fachkraft dann eine gesicherte Diagnose.

Es kann sein, dass die Therapeutin bzw. Therapeut überzeugt ist, dass du deine Probleme mithilfe bestimmter Selbsthilfeangebote, Beratungsstellen bzw. Institutionen mit vergleichbarem Angebot in den Griff bekommen kannst. Sie werden dir dann entsprechende Adressen nennen. Kommt sie zu dem Schluss, dass tatsächlich eine Therapie sinnvoll wäre, werden sie mit dir sowohl die Diagnose als auch die unterschiedlichen passenden Behandlungsmöglichkeiten ausführlich besprechen: die verschiedenen therapeutischen Verfahren, Einzel- bzw. Gruppen-Psychotherapie-Angebote, ggf. die Einnahme von Psychopharmaka.

Wenn die von dir gewählte Therapeutin oder Therapeut, bei der oder dem du in der Sprechstunde warst, dir gerade keinen Therapieplatz anbieten kann, heißt das nicht, dass du so lange warten musst, bis sie oder er wieder Kapazitäten hat. Die Therapeutin oder Therapeut wird dich dann auf die Termin-Servicestellen weiter verweisen und du kannst dich an eine andere Praxis wenden.

Du kannst bis zu sechs Sprechstunden zu je 25 Minuten in Anspruch nehmen. Bei Bedarf können zwei Sprechstunden auch zu einem 50-Minuten-Termin zusammengelegt werden.

42,2 % der Patienten in der psychotherapeutischen Sprechstunde werden nicht weiter behandelt, 57,8 % werden in die Akutbehandlung, die Kurz- oder Langzeittherapie gesteuert, 32,2 % warten nach der Sprechstunde zwei bis drei Quartale auf den Beginn der Behandlung.

Probatorische Sitzungen: das erste Antesten  

Bevor es mit der eigentlichen Therapie losgeht, soll im Rahmen von Probesitzungen die individuelle, subjektive Verbindung zwischen dir und der Therapeutin oder dem Therapeuten geprüft werden. Diese ist ein unterschätzter Faktor und ausschlaggebend für den Therapieerfolg! Kannst du kein Vertrauen aufbauen, werden das auch die besten Qualifikationen der Fachkraft nicht kompensieren können. Kompetenz ist kein Ersatz für Sympathie. Die Chemie muss einfach stimmen. Gesetzlich Versicherte haben deswegen Anspruch auf maximal 4 vorläufige Sitzungen à 50 Minuten.

Diagnose & Antrag auf Kostenübernahme

Papierkram gehört leider dazu

Am Ende dieser Sitzungen steht die Diagnose sowie der Antrag auf Kostenübernahme bei deiner Krankenkasse. Diese übernimmt die gesamten Kosten der Therapie, sofern eine psychische Störung „mit Krankheitswert“ vorliegt. Dazu zählen

  • Angststörungen,
  • Depressionen,
  • Essstörungen,
  • Persönlichkeitsstörungen,
  • psychosomatische Störungen,
  • Süchte,
  • Verhaltensstörungen und
  • Zwangsstörungen.

Ist eine Langzeittherapie angezeigt, muss deine Therapeutin oder Therapeut einen Bericht an die Gutachterin oder den Gutachter deiner Krankenkasse übermitteln. Geht es lediglich um eine Kurzzeitintervention ist es nicht nötig, dass diese von der Gutachterin oder dem Gutachter abgesegnet wird.
Selbstverständlich werden diese sensiblen Daten stets vertraulich behandelt. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter deiner Versicherung werden keine Details deiner Krankengeschichte erfahren.

Ärztliche Abklärung vor Beginn der Therapie

Um etwaige Kontraindikationen auszuschließen, musst du in der Zeit zwischen den probatorischen Sitzungen und vor Therapiebeginn außerdem eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Falls eine körperliche Erkrankung vorliegt, die zusätzlich zur Therapie gesondert medizinisch behandelt werden muss, wird dies dort festgestellt. Diese Aufgabe kann beispielsweise deine Hausärztin bzw. Hausarzt übernehmen.

Therapieverfahren im Überblick

Es gibt viele Therapieformen gegen den Sturm im Kopf

Von den gesetzlichen Kassen übernommen werden lediglich die Kosten für Verfahren, welche sowohl als „wissenschaftlich anerkannt“ gelten, als auch als „wirtschaftlich“ betrachtet werden – die sogenannten „Richtlinienverfahren. Derzeit sind das

  • die Verhaltenstherapie,
  • die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie,
  • die analytische Psychotherapie („Psychoanalyse“),
  • EMDR (bei Erwachsenen zur Behandlung von PTSB) und
  • die Systemische Therapie.

Oftmals lassen sich die einzelnen Verfahren in der Anwendung nicht völlig voneinander abgrenzen. Therapeutinnen und Therapeuten sind meist in mehreren Verfahren versiert und kombinieren diese je nach Bedarf. Frage ruhig jederzeit nach, wenn du Fragen zur Methodik hast. Eine gewisse Transparenz sollte stets gegeben sein und deine Therapeutin oder Therapeut wird dir gerne alles, was du wissen musst, erklären (und falls nicht, solltest du deine Wahl wohl noch einmal überdenken).

Du kannst auch die Person sein, die jemand anderem die Hand reicht!

Niemand ist allein mit seelischen Problemen

Nicht nur, wenn man selbst betroffen ist, kann es schwer sein, sich dies einzugestehen. Auch aus der anderen Perspektive ist das Thema mitunter schambehaftet. Du musst und sollst nicht die Therapeutin oder den Therapeuten für deinen Freundeskreis spielen. Aber weise Menschen in deinem Umfeld auf Hilfsangebote hin.
Natürlich ist es schwierig, so etwas anzusprechen. Äußere, dass du dich sorgst und frage erst einmal nach, ob deine Einschätzung, dass hoher Leidensdruck besteht, richtig ist. Kommuniziere unbedingt auch deine Grenzen. Vielleicht bist du von den Sorgen deiner Freundin oder Freundes überfordert. Sprich offen an, dass du dir wünschen würdest, dass sich psychologisches Fachpersonal um dein Gegenüber kümmert und du selbst die Probleme und Emotionen nicht länger auffangen kannst.

Du musst nicht gleich den absolut perfekten Ratschlag parat haben. In Wirklichkeit braucht es erst mal nicht viel mehr als etwas Empathie. Versetze dich in die andere Person hinein und verurteile sie nicht. Kommuniziere deine Bedenken und biete deine Hilfe an. Gerade von nahestehenden Personen wird diese Art von Besorgnis oft ernst genommen. So kannst du vielleicht den ersten Schritt der Heilung initiieren.
Aber verstehe, dass das nicht immer klappt. Respektiere die Entscheidung deiner Freundin bzw. deines Freundes.
Nur in Notsituationen, wenn Gefahr für die Person oder Dritte besteht, solltest du handeln. Droht deine Freundin bzw. dein Freund, sich selbst oder anderen etwas anzutun, solltest du umgehend den Rettungsdienst (112) alarmieren.

Ein Zeichen setzen

Aber zurück zu dir. Deiner psychischen Verfassung eine hohe Priorität einzuräumen und ihr die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie auch verdient hat, ist nicht nur absolut legitim, sondern sogar notwendig. Für dich ebenso wie die Menschen um dich herum: Wenn du über deinen Schatten springst und einen mutigen Schritt gehst, tust du das auch, aber nicht nur für dich. Du setzt damit ein Zeichen, dass es möglich ist, seelische Beschwerden ernst zu nehmen und zu heilen.

Mentale Hygiene muss Normalität werden

Aus dem Alltagsstress ausbrechen und sich um die eigene Psyche zu kümmern ist schwer, aber wichtig

Wir hoffen, dass wir dir mit diesem Artikel einen guten Überblick vermitteln konnten und dir damit die Angst nehmen konnten, die nötigen Schritte zu tun: Professionelle Hilfe in Anspruch zunehmen und dich deinem Umfeld anzuvertrauen.
Wir hoffen, dass du nicht so lange wartest, bist du allein einfach wirklich nicht mehr weiter kommst. Und vor allem hoffen wir, dass wir dir vermitteln konnten: Es völlig normal, an einem Punkt im Leben zu gelangen, an dem Hilfe nötig ist. Je mehr Menschen offen mit dem Thema umgehen, desto leichter wird es für alle nach und neben ihnen.

Hilfreiche Adressen im Überblick

Erste Hilfe

Bei einem akuten Notfall rufe bitte direkt den Rettungsdienst unter der 112!

Seelsorge und Beratung

  • Telefonseelsorge: 0800 – 1110111 und 0800 – 1110222
    Telefonberatung, Mailberatung, Chatberatung, Face-to-Face-Beratung durch ausgebildetes Personal: telefonseelsorge.de.
  • Info-Telefon Depression: 0800 – 3344533
    Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Informationen zur Erkrankung Depression für Betroffene, Angehörige, Experten und Interessierte.
  • Seelefon: 0228 – 71002424
    Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Bundesweite Information und Hilfe durch Telefon- und E-Mail-Beratung unter seelefon@bapk.de.
  • Psychotherapie-Informationsdienst: 030 – 209166330
    Der Psychotherapie-Informationsdienst ist eine Anlaufstelle zur persönlichen Beratung bei allen Fragen rund um die Psychotherapie und zur Therapeutensuche.

Angebote speziell für Jugendliche

  • Krisenchat
    Chat-Beratung für alle unter 25 Jahren: krisenchat.de.
  • U25 Deutschland
    E-Mail-Beratung für Jugendliche bei Krisen und Suizidgedanken: u25-deutschland.de.
  • Jugend Notmail
    Anonyme und kostenlose Onlineberatung für Jugendliche unter 19 Jahren: jugendnotmail.de.
  • Nummer gegen Kummer für Kinder- u. Jugendliche: 116111
  • Nummer gegen Kummer für Eltern: 0800 – 1110550

Terminservicestellen

Quellen

1Barmer Arztreport 2023
2Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al (2016) Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in: Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Der Nervenarzt 87:88–90.
3Walker ER, McGee RE, Druss BG (2015) Mortality in mental disorders and global disease burden implications: a systematic review and meta-analysis. JAMA psychiatry 72:334–341.
4Plass D, Vos T, Hornberg C. et al (2014). Entwicklung der Krankheitslast in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 111:629–638.